Die Erregungen des Thomas Bernhard
Eine Skandalchronik zum 75. Geburtstag des Dichters
© Die Berliner Literaturkritik, 09.02.06
Der österreichische
Kulturbetrieb hat es Thomas Bernhard immer leicht gemacht. Fast scheint
es, als hätten Bernhards Landsleute nach den Provokationen des Autors
gelechzt. Mühelos gelang es ihm, einen Eklat nach dem anderen aus dem
Ärmel zu schütteln. Der „Übertreibungskünstler“ war ein
Skandalisierungsvirtuose und dies bis über seinen Tod 1989 hinaus:
Testamentarisch verwahrte er sich gegen jede Vereinnahmung seines
literarischen Erbes durch den Staat Österreich. Nach Bernhards letztem
Willen sollte in seiner Heimat für die Dauer des gesetzlichen
Urheberrechts nichts von ihm „aufgeführt, gedruckt oder auch nur
vorgetragen“ werden. Noch einmal hat sich Bernhard als der große
Österreichhasser inszeniert, indem er, wie er es nannte, in die
"posthume Emigration" ging. Als Testamentsvollstrecker mussten sich
Siegfried Unseld und Bernhards Halbbruder Peter Fabjan mit der rabiaten
Verfügung herumschlagen. An eine strenge, wortgetreue Auslegung des
Testaments haben sich die beiden dankenswerterweise nicht gehalten.
1998 wurde das Aufführungs- und Publikationsverbot für Österreich
aufgehoben.
Bernhards
Wirkungsgeschichte ist zugleich eine Skandalgeschichte. Mehr noch, oder
umgekehrt: Bernhard hat den Skandal in eine Kunstform verwandelt, wie
der philosophisch geschulte Bernhard-Exeget Alfred Pfabigan einmal
bemerkt hat. Anlässe für eine Provokation fanden sich immer. Der
typische Bernhard-Stil, in dem persönliche und politische Äußerungen in
einem nicht mehr zu trennenden Geflecht von Fiktion und Realität
verwoben sind, trug sein übriges dazu bei.
Geistesschwache vs. stolze Österreicher
Die Mutter aller
Bernhard-Eklats bildet seine Dankesrede von 1968. Bei der Verleihung
des Kleinen Österreichischen Staatspreises revanchierte sich der erst
seit wenigen Jahren bekannte Autor mit einer skandalösen Rede, in der
er seine Landsleute als "Geschöpfe der Agonie" bezeichnete. "Die
Zeitalter sind schwachsinnig, der Staat ist ein Gebilde, das
fortwährend zum Scheitern, das Volk ein solches, das ununterbrochen zur
Infamie und zur Geistesschwäche verurteilt ist." Das mochte sich der
anwesende Unterrichtsminister Piffl-Percevic nicht bieten lassen.
Empört verließ er den Saal und warf dem undankbaren Literaten ein „Wir
sind trotzdem stolze Österreicher!“ an den Kopf. Bernhard hatte
umgehend seinen Ruf als notorischer Querulant weg. Zur kurze Zeit
später angesetzten Verleihung des Anton-Wildgans-Preises wurde er gar
nicht erst eingeladen. Die Auszeichnung erhielt Bernhard mit der Post.
„Ein Preis wird einem
immer nur von inkompetenten Menschen verliehen, die einem auf den Kopf
machen wollen und die einem ausgiebig auf den Kopf machen, wenn man
ihren Preis entgegen nimmt.“ So reflektiert der Ich-Erzähler von
Bernhards autobiografisch gefärbter Erzählung „Wittgensteins Neffe“.
1972 fühlte sich Bernhard wieder einmal „auf den Kopf gemacht“,
als er bei der Verleihung des Grillparzer-Preises nicht mit dem
gebührenden Respekt empfangen worden war. Demonstrativ nahm der
beleidigte Dichter nach seiner Ankunft mitten im Publikum Platz. Erst
der Präsident der Akademie der Wissenschaften konnte Bernhard dann
besänftigen. Die bizarren Umstände dieser Preisverleihung sind in
„Wittgensteins Neffe“ beschrieben: „Ich dachte, dass ich doch eine
perfide Idee gehabt habe, mich in die Mitte des Saales zu setzen, denn
der auf mich zukommende Herr, Mitglied der Akademie naturgemäß, hatte
die größte Mühe, mich zu erreichen.“
Salzburg, du stumpfsinnige Königin der Städte!
Bei Bernhard gehe jede
„Trennung von innen und außen, fiktional und expositorisch, literarisch
und politisch“ an seinen Absichten und Leistungen vorbei, schreibt
Bernhard Sorg zur Selbstinszenierung des Autors. „Es gibt nur einen
Redestrom, an dem alle Texte partizipieren.“ Fragen danach, ob die
wahnwitzigen zeitkritischen und oft gegen Österreich gerichteten Thesen
in Bernhards Büchern der Autormeinung entsprechen, sind müßig. Der
Autor hat die Provokation gezielt gesucht; dass er auch in jedem Fall
von seinen Invektiven gegen Land und Leute überzeugt war, kann
zumindest angezweifelt werden. Sein ambivalentes Verhältnis zu Salzburg
macht dies deutlich.
In seinem
autobiografischen Roman „Die Ursache“ beschreibt er 1975 seine
Schulzeit am Salzburger Johanneum als traumatische Erfahrung. Die Stadt
erscheint ihm rückblickend als „durch und durch menschenfeindlicher
architektonisch-erzbischöflich-stumpfsinnig-nationalsozialistisch-katholischer
Todesboden“. Eine „fürchterliche Beziehung“ verbinde ihn mit der Stadt.
Als 17-Jähriger jedoch, also unmittelbar nach seiner angeblich so
fürchterlichen Zeit im „Schulknaben-Asyl“, die ihn zu mehreren
Selbstmordversuchen getrieben habe, erscheint ihm Salzburg noch als die
„Königin der Städte“. Und trotz des vermeintlich
katholisch-nationalsozialistisch-stumpfsinnigen Publikums feierte er
dort seine großen Theatertriumphe.
Bezeichnenderweise
„gelingt“ Bernhard bei den Salzburger Festspielen der erste
Theaterskandal. „Der Ignorant und der Wahnsinnige“ (1972) wurde unter
der Regie von Claus Peymann nur einmal aufgeführt. Der Regisseur
verlangte in einer Szene absolute Dunkelheit. Die
Feuerschutzvorschriften verboten es jedoch, hierzu auch das Notlicht
auszuschalten. Peymann und das Ensemble traten nach der
Premierenvorstellung in den Streik, zu weiteren Aufführungen war man
nicht bereit. Das war nach Bernhards Geschmack. Er stärkte den
Streikenden in einem Telegramm den Rücken: „Eine Gesellschaft, die zwei
Minuten Finsternis nicht verträgt, kommt ohne mein Schauspiel aus.“
Proteste und Prozesse
Mit Protesten und
Prozessen gegen seine Dichtungen hatte Bernhard hinreichend Erfahrungen
gesammelt. In der erwähnten Kindheitserinnerung „Die Ursache“ erkannte
sich der Stadtpfarrer Franz Wesenauer in der als sadistisch
gezeichneten Figur des „Onkel Franz“ wieder und erwirkte vor Gericht
die Streichung besonders scharfer Stellen. 1984 löste der Roman
„Holzfällen“ den bis dato größten Bernhard-Skandal aus. Das Buch ist
eine überaus komische Abrechnung mit Bernhards langjährigem
Komponisten-Freund Gerhard Lampersberg, der im Roman als seniler,
abgewrackter Alkoholiker porträtiert wird. Auf Initiative eines
Literaturkritikers wurde Lampersberg aktiv und erwirkte die
Beschlagnahmung des Romans in Österreich. Siegfried Unseld sollte
später Lampersbergs Anwaltskosten anonym begleichen, nachdem das
Auslieferungsverbot des Romans wieder aufgehoben wurde. Bernhard
freilich wollte mit dem Staat nichts mehr zu tun haben und drängte bei
Unseld auf einen Österreich-Boykott. Unselds geduldigem Engagement
haben es die Österreicher zu verdanken, dass es dazu nicht kam. So
konnten die apodiktischen Aussagen von Bernhards Figuren auch weiterhin
die Gemüter seiner Landsleute erregen, so etwa das des
Unterrichtsministers Moritz, der Bernhard wegen des Romans „Alte
Meister“ indirekt in die psychiatrische Behandlung empfahl.
Der finale Triumph
Vor dem Hintergrund der
eingangs erwähnten Einschätzung, Bernhard habe den Skandal in eine
Kunstform verwandelt, hatte der Autor mit „Heldenplatz" 1988 seinen
größten künstlerischen Erfolg: Das Stück wurde zum größten Eklat seiner
Laufbahn. In der Öffentlichkeit wurde das Stück auf die These
reduziert, dass das gegenwärtige Österreich viel
nationalsozialistischer sei als zur Hitler-Zeit. Solche und ähnliche
Figurenaussagen wurden vor der Premiere am Wiener Burgtheater von den
Medien zusammenhanglos zitiert und lösten eine beispiellose Welle der
Empörung aus. Wenn man die apodiktischen Aussagen der Protagonisten
jedoch im Kontext liest, erscheint „Heldenplatz“ gar nicht mehr so
skandalös. So behauptet die Hauptfigur, der jüdische Professor
Schuster, „in Wien zu existieren sei eine Unmenschlichkeit“. Wenig
später spricht er mit der gleichen Überzeugung davon, das Bügeln sei
eine der höchsten Künste. Das ist nicht nur komisch, das korrumpiert
natürlich auch ihre Glaubwürdigkeit. Die Figuren verstricken sich
permanent in solche, auch moralische Widersprüche und relativieren ihre
grotesken Thesen, zudem sind sie alle ehemalige Insassen der
Nervenheilanstalt „Steinhof“.
Die empörte
Öffentlichkeit hatte übersehen, dass sich die Familie Schuster in ihren
Hasstiraden gegen Österreich auch blamiert, dass sie, ähnlich wie der
Autor, eine Rolle als Übertreibungskünstler spielen. Alfred Pfabigan
meint hierzu, in ‚Heldenplatz‘ sei es Bernhard gelungen, „mit
fragwürdigen Aussagen einen Teil des Publikums so zu mobilisieren, dass
diese Aussagen einen Charakter an Ernsthaftigkeit bekommen, der ihnen
nicht zukommt. Die Anschuldigungen sind falsch, doch die Rezeption
scheint sie zu belegen.“
So präsentierte sich
Bernhard mit „Heldenplatz“, nur wenige Wochen vor seinem Tod, auf der
Höhe seiner Skandalisierungskunst. Mit seinem letzten Stück ist es ihm
einmal mehr gelungen, die Öffentlichkeit zum willfährigen Personal
seiner geschickt inszenierten „Weltkomödie Österreich“ zu machen.
Am 9. Februar wäre
Thomas Bernhard 75 Jahre alt geworden. Der TV-Sender 3sat zeigt aus
diesem Anlass am 11. Februar um 20.15 Uhr die Salzburger
Skandalinszenierung von "Der Ignorant und der Wahnsinnige" mit einem
glänzenden Bruno Ganz in der Hauptrolle. Im Anschluss läuft das Porträt
"Das war Thomas Bernhard".
(Torsten Gellner)
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